EMDR und das Imposter-Syndrom bei Führungskräften
Das Imposter-Syndrom bei Führungskräften
Viele Führungskräfte kennen das nagende Gefühl, trotz objektiver Erfolge “nicht gut genug” zu sein oder ihren Erfolg nicht zu verdienen.
Dieses Phänomen wird als Imposter-Syndrom (auch Hochstapler-Syndrom oder Impostor-Phänomen) bezeichnet.
Das Wort „Imposter“ stammt von dem spätlateinischen Wort impostor, das eine Zusammenziehung von impositor ist. Impositor kommt von dem lateinischen Wort imponere, das „zufügen, täuschen“ bedeutet. Imponere setzt sich zusammen aus in-, was „in, auf“ bedeutet, und ponere, was „setzen“ bedeutet.
Es beschreibt innerlich erfolgreiche Menschen, die ihre Leistungen systematisch abzuwerten und eine persistente Angst haben, als “Betrüger” entlarvt zu werden. Sie schreiben Erfolge oft äußeren Umständen wie Glück oder Zufall zu, während sie Misserfolge als Beleg für angebliche Unfähigkeit sehen. Ursprünglich wurde das Imposter-Phänomen bei hochleistungsorientierten Frauen beschrieben, doch mittlerweile ist klar, dass es unabhängig von Geschlecht und Branche auftritt.
Besonders in Führungspositionen ist es verbreitet: Eine aktuelle globale Befragung ergab, dass 71 % der US-amerikanischen CEOs Symptome des Imposter-Syndroms in ihrer Rolle erleben. Interessanterweise berichten sogar Senior-Manager häufiger von Imposter-Gefühlen als Berufsanfänger (65 % vs. 33 %, siehe kornferry.com).
Dies zeigt, dass selbst an der Unternehmensspitze Selbstzweifel weit verbreitet sind – oft trotz langjähriger Erfahrung und objektiver Kompetenz.
Typische Denk- und Verhaltensmuster des Imposter-Syndroms sind etwa: perfektionistischer Anspruch und chronische Angst vor Fehlern, Überarbeitung und das Vermeiden von Delegation (aus Furcht, Schwächen zu offenbaren), aber auch das Zurückhalten von Ideen aus Angst vor Kritik. Außenstehende sehen eine leistungsstarke Führungskraft, innerlich aber fühlt sich die Person unzulänglich. Diese Diskrepanz kann zu einem Teufelskreis führen: Lob und Erfolge werden abgewehrt oder als “nicht der eigene Verdienst” abgetan, was das geringe Selbstwertgefühl aufrechterhält. Dadurch bleiben die Zweifel bestehen und treiben Betroffene zu noch mehr Anstrengung oder Vorsicht – was kurzfristig Erfolge sichert, langfristig aber Erschöpfung und Burnout-Risiken birgt.
Die Forschung zum Imposter Syndrom
Das Imposter-Syndrom ist längst kein Randthema mehr – aber die Forschung dazu steht noch am Anfang. Es gibt unzählige Artikel und Ratgeber, doch nur wenige fundierte, peer-reviewte Studien. Die bislang erste umfassende wissenschaftliche Synthese stammt aus dem Jahr 2023 – und bringt wichtige Erkenntnisse ans Licht.
Eine davon: Ausgeprägtes Imposter-Erleben geht häufig einher mit Depression, Angst, Erschöpfung und geringerer Arbeitszufriedenheit. Gerade bei Führungskräften kann dies langfristig die Wirksamkeit beeinträchtigen. Darüber hinaus zeigt die Analyse fünf zentrale Aspekte, die für Praxis und Organisationsentwicklung relevant sind:
1. Forschungslücken und fehlende Behandlungskonzepte:
Die Zahl wissenschaftlicher Beiträge wächst, doch es fehlt an belastbaren Interventionsstudien. Die therapeutische Praxis greift bislang auf Verfahren zurück, die für begleitende Symptome wie Angst oder Depression entwickelt wurden – spezifische Ansätze für das Imposter-Erleben fehlen. Die Autor:innen fordern deshalb eine gezielte Prüfung von kognitiver Verhaltenstherapie und die mögliche Aufnahme in diagnostische Klassifikationen wie das DSM.
2. Geschlechterrollen überdenken:
Zwar wurde das Imposter-Phänomen ursprünglich vor allem bei Frauen untersucht, doch aktuelle Daten zeigen: Männer sind in ähnlichem Maß betroffen. Der Blick sollte sich daher grundsätzlich auf Menschen in Leistungsrollen richten – unabhängig vom Geschlecht.
3. Relevanz für ethnische Minderheiten:
Bei Angehörigen ethnischer Minderheiten tritt das Imposter-Erleben besonders häufig auf – stärker noch als der Stress durch die eigene Minderheitenposition. Gleichzeitig sind viele Diagnostikinstrumente nicht für diverse Gruppen validiert. Hier besteht dringender Entwicklungsbedarf – auch um kulturelle Unterschiede besser berücksichtigen zu können.
4. Altersverlauf bislang unklar:
Ob Imposter-Gefühle mit dem Alter abnehmen, lässt sich nicht eindeutig sagen. Die Studienlage ist widersprüchlich. Künftige Forschung sollte Erwerbstätige stärker in den Blick nehmen – nicht nur Studierende.
5. Auswirkungen auf Gesundheit und Organisationen:
Imposter-Gefühle sind oft verbunden mit innerem Rückzug, Isolation und langfristig mit Burnout. Gruppenformate können entlastend wirken – vorausgesetzt, sie sind entstigmatisierend und sicher gestaltet. Auch auf organisationaler Ebene braucht es gezielte Maßnahmen: Eine Kultur, die Fehler nicht als Scheitern wertet und Erfolge sichtbar würdigt, kann einen Unterschied machen. Mentoring, Coaching und Trainings zu Selbstführung und psychologischer Sicherheit sollten gezielt auch dieses Thema adressieren.
Wir können daraus lernen:
Das Imposter-Syndrom ist kein „Luxusproblem“, sondern ein ernstzunehmendes Muster chronischer Selbstabwertung - mit spürbaren Folgen für die psychische Gesundheit, die Führungskraft und das Team. Es verdient Aufmerksamkeit, strukturelle Antworten und individuell passende Ansätze - auch jenseits oberflächlicher Ratgeber. Wer das Thema ernst nimmt, stärkt nicht nur den Einzelnen, sondern auch die Breite und Qualität seiner (inklusiven) Führung und Zusammenarbeit.
Psychologische Hintergründe: Selbstwert, Bindungserfahrung und Glaubenssätze
Das Imposter-Syndrom wurzelt oft in tiefliegenden psychologischen Mustern. Zentral ist dabei ein instabiles Selbstwertgefühl.
Die vorgenannten Forschung zeigen einen klaren Zusammenhang: Je stärker das Imposter-Gefühl, desto niedriger meist das Selbstwertgefühl. Menschen mit hohen Imposter-Werten weisen oft die geringste Selbstachtung auf.
Frühe Bindungserfahrungen spielen dabei eine entscheidende Rolle. In der Psychologie gilt: Unser inneres Modell davon, “gut genug” und liebenswert zu sein, formt sich in Kindheit und Jugend durch Interaktion mit primären Bezugspersonen. Unsichere Bindungsstile – etwa ein ängstlicher Bindungsstil (Furcht vor Verlassenwerden, starkes Bedürfnis nach Anerkennung) oder ein vermeidender Bindungsstil (Schwierigkeiten, Hilfe anzunehmen, Glauben “auf sich gestellt zu sein”) – können die Basis für spätere Selbstzweifel legen.
Eine aktuelle Studie an Jugendlichen zeigte, dass unsichere Bindungsstile signifikant mit stärkerem Imposteris Merkmalen einhergehen. Anders gesagt: Wer als Kind keine stabile innere Sicherheit entwickeln konnte, neigt als Erwachsener eher dazu, die eigenen Erfolge abzuwerten – die Person fühlt sich innerlich unsicher, selbst wenn äußerlich alles darauf hindeutet, kompetent zu sein. Früh erworbene Glaubenssätze wirken dabei als “innere Leitlinien”. Beispiele für solche oft unbewussten Glaubenssätze sind: “Meine Leistungen genügen nie”, “Ich darf keine Fehler machen”, oder “Ich bin nur etwas wert, wenn ich perfekt bin”. Solche Überzeugungen können aus frühen Erfahrungen stammen – etwa wenn Anerkennung in der Kindheit überwiegend leistungsabhängig war oder Fehler stark kritisiert wurden. Selbst stark Erfolgreiche kämpfen dann innerlich mit einem permanent kritischen inneren Kommentar.
Interessanterweise können auch traumatische oder belastende Kindheitserlebnisse den Boden für Imposter-Gefühle bereiten. So wurde beobachtet, dass Erwachsene, die in einer dysfunktionalen Familie aufwuchsen (z. B. als Kinder von suchtkranken Eltern), besonders häufig unter ausgeprägtem Imposter Symptomen leiden. Wahrscheinlich tragen unvorhersehbare, emotional unsichere Familienumfelder dazu bei, dass Betroffene ein Gefühl ständiger Wachsamkeit und Selbstzweifel entwickeln. Sie haben gelernt, den eigenen Fähigkeiten zu misstrauen und immer auf der Hut zu sein.
Neben Bindung und Selbstwert können auch Persönlichkeitszüge wie Perfektionismus oder ein starkes Bedürfnis nach Kontrolle Imposter-Gefühle begünstigen. Perfektionismus und Imposter-Syndrom gehen oft Hand in Hand: Der hohe eigene Anspruch führt dazu, dass nie etwas gut genug erscheint, was wiederum die Selbstzweifel antreibt. Zudem fühlen sich viele Führungskräfte gesellschaftlichem Erwartungsdruck ausgesetzt: Sie glauben, immer souverän und kompetent wirken zu müssen. Diese Angst, dem Idealbild nicht gerecht zu werden, verstärkt den inneren Ruf “Du genügst nicht”.
Zusammengefasst zeigt der psychologische Hintergrund des Imposter-Syndroms ein Zusammenspiel aus niedrigem Selbstwert, unsicherer innerer Arbeitsmodelle (geprägt durch Bindungserfahrungen) und negativen Glaubenssätzen. Diese Faktoren sind meist tief im Unterbewusstsein verankert und entziehen sich einfacher rationaler Korrektur – viele Betroffene wissen zwar intellektuell um ihre Fähigkeiten, fühlen aber etwas anderes.
Hier setzen therapeutische Ansätze wie EMDR an, insbesondere in einer bindungsfokussierten Form (AF-EMDR), die helfen können, diese internalisierten Blockaden aufzulösen..
Blockaden lösen: EMDR und Attachment-Focused EMDR
EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing) ist eine psychotherapeutische Methode, die ursprünglich zur Traumabehandlung entwickelt wurde. Vereinfacht gesagt hilft EMDR dem Gehirn, belastende Erinnerungen und damit verbundene negative Überzeugungen neu zu verarbeiten. Dies geschieht unter anderem durch bilaterale Stimulation, meist in Form von geführten Augenbewegungen oder abwechselndem Klopfen mit den Händen - letztere Form wird von meinen Klienten in den Sitzungen vor Ort bevorzugt.
Als EMDR Coach leite ich Menschen an, sich auf eine belastende Erinnerung oder ein schwieriges Gefühl zu fokussieren, während sie gleichzeitig abwechselnd die rechte und linke Körper- oder Gehirnseite stimulieren (z. B. durch Augenbewegungen, Töne oder Berührungen). Dieser Vorgang der bilateralen Stimulation unterstützt die Vernetzung von Gehirnbereichen, was die adaptive Verarbeitung von Informationen erleichtert: Belastende Erfahrungen, die zuvor fragmentiert und ggf. abgespalten im Nervensystem gespeichert waren, werden in einen kohärenteren und weniger belastenden Kontext eingebettet. Infolgedessen nimmt die emotionale Ladung schmerzhafter Erinnerungen ab, und festgefahrene negative Gedankenmuster entwickeln sich zu funktionaleren und situationsgerechteren Überzeugungen.
Weltweite Anerkennung von EMDR
EMDR hat sich international als evidenzbasierte Methode etabliert, insbesondere in der Psychotraumatologie. Anerkannte Institutionen wie die American Psychological Association (APA), die National Institute for Health and Care Excellence (NICE) in England und Wales, und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfehlen EMDR als wirksame Behandlung für die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS). Die Wirksamkeit von EMDR zur Reduktion von Traumasymptomen ist durch umfangreiche Forschung belegt. Jedoch geht der Anwendungsbereich von EMDR über die reine Traumatherapie hinaus. So konnte in einer randomisierten Studie gezeigt werden, dass EMDR bei der Behandlung von geringem Selbstwertgefühl ähnliche Erfolge erzielt wie die kognitive Verhaltenstherapie (KVT), wobei 10 EMDR-Sitzungen eine signifikante und über 3 Monate anhaltende Verbesserung des Selbstwertgefühls bewirkten. Dies deutet darauf hin, dass EMDR ein wertvolles Instrument zur Veränderung tiefgreifender negativer Selbstwahrnehmungen darstellt.
Von negativer zu positiver Kognition
Internalisierte Blockaden, wie das Imposter-Syndrom, werden in der EMDR-Therapie gezielt behandelt, da sie häufig mit spezifischen Erinnerungen an Versagen oder Kritik und damit verbundenen negativen Glaubenssätzen (z. B. "Ich bin nicht gut genug") verknüpft sind. Durch die EMDR-Reprozessierung können diese Kognitionen verändert und durch förderlichere Selbstüberzeugungen (z. B. "Ich bin kompetent") ersetzt werden. Viele Klient:innen erleben nach erfolgreicher EMDR-Behandlung ein Gefühl der inneren Befreiung und eine deutliche Steigerung ihres Selbstwertgefühls.
AF-EMDR: Ein bindungsorientierter Ansatz in der Traumatherapie
AF-EMDR unterscheidet sich vom klassischen EMDR durch seinen starken Fokus auf die therapeutische Beziehung und die Behandlung früher Bindungstraumata, wie emotionale Vernachlässigung oder Verlassenheitsängste. Während klassisches EMDR oft einzelne Traumata isoliert verarbeitet, adressiert AF-EMDR chronische Verletzungen aus der Kindheit, indem zunächst ein sicherer "Bindungsrahmen" geschaffen wird und der/die Therapeut:in als "sichere Basis" (safe haven) dient. Innerhalb dieses Rahmens wird bilaterale Stimulation genutzt, um früh erlernte negative Selbstkonzepte (z.B. "Ich bin nicht gut genug") tiefgreifend zu korrigieren. Forschung und klinische Erfahrung deuten darauf hin, dass AF-EMDR Symptome komplexer Traumafolgestörungen, Angst und Depression reduzieren kann, besonders wenn diese mit frühen Beziehungserfahrungen zusammenhängen. Eine qualitative Studie bestätigte die hohe Wirksamkeit von AF-EMDR bei Klient:innen mit Bindungstraumata und unsicheren Bindungsstilen.
Anwendungsfälle für Imposter und EMDR
Bei Führungskräften, die vom Imposter-Syndrom betroffen sind, kann EMDR (sowohl klassisch als auch bindungsfokussiert) dazu beitragen, die tieferliegenden Ursachen der Selbstzweifel zu bearbeiten. Anstatt sich auf oberflächliche Techniken des "positiven Denkens" zu beschränken, ermöglicht EMDR die Aufarbeitung oft verdrängter emotionaler Erinnerungen an frühere Erfahrungen von Versagensängsten oder erlittenem Liebesentzug. Dies führt dazu, dass die Imposter-Gedanken an Kraft verlieren. Ein Beispiel hierfür ist ein Manager, der in Keynote- und Präsentationssituationen unter starker Angst vor Bloßstellung leidet und durch EMDR zu der Erinnerung an eine Situation zurückgeführt wird, in der er als Schüler vor der Klasse ausgelacht wurde. In der achtsamen Auseinandersetzung mit diesem Erlebnis – unter bilateraler Stimulation – lernt sein Gehirn, die Situation neu zu bewerten: Während er als Kind in dieser Situation hilflos und beschämt war, ist er heute ein kompetenter Erwachsener mit zahlreichen Erfolgen. Diese Reprozessierung führt nach der Behandlung häufig zu einer deutlichen Linderung des subjektiven Leidensdrucks: Die Präsentationsangst nimmt ab, und das anhaltende Gefühl der Unsicherheit verringert sich.
Aktuelle Forschungsergebnisse betonen die Bedeutung der Behandlung solcher internalisierter Blockaden. So zeigte beispielsweise eine Studie, dass "Imposter"-Tendenzen bei Führungskräften nachteilige Auswirkungen auf die Teamdynamik haben können – indem unsichere, sich selbst zurückhaltende Führungskräfte eine Kultur des Wissensrückzugs bei den Mitarbeitern fördern. Anders ausgedrückt: Die internalisierten Ängste der Führungskraft (oft verbunden mit einem vermeidenden Bindungsmuster) können sich negativ auf die Organisation als Ganzes auswirken. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit für Führungskräfte, ihre prägenden Muster zu bearbeiten. EMDR bietet einen strukturierten und evidenzbasierten Weg, um diese tief in der Psyche verankerten "dysfunktionalen Programme" zu verändern – und dadurch nicht nur das individuelle Wohlbefinden zu fördern, sondern auch eine effektivere Führung zu ermöglichen.
Self-Compassion als Ressource: Stärke durch Selbstmitgefühl
Während EMDR auf die Aufarbeitung der Vergangenheit zielt, gibt es eine weitere, komplementäre Zutat für den Umgang mit dem Imposter-Syndrom: Self-Compassion, das Selbstmitgefühl. Die Psychologin Dr. Kristin Neff – eine Pionierin auf diesem Gebiet – definiert Selbstmitgefühl als eine Haltung gegenüber sich selbst, die geprägt ist von Wärme, Verständnis und Nachsicht anstelle von harscher Selbstkritik.
Die wissenschaftlichen Belege für die Vorteile von Selbstmitgefühl sind beeindruckend: Hohe Selbstmitgefühl-Werte korrelieren nachweislich mit größerer Lebenszufriedenheit, Optimismus und emotionaler Resilienz. Gleichzeitig gehen Selbstmitgefühl und psychische Gesundheit Hand in Hand: Stress, Angst und Depressivität sind bei selbstmitfühlenden Personen deutlich geringer. Interessanterweise führt Selbstmitgefühl auch zu einem stabileren Selbstwertgefühl – anders als beim “aufgeblasenen” Ego ist dieser Selbstwert aber nicht von ständigen Erfolgen abhängig, sondern trägt auch durch schwierige Zeiten.
Für unser Thema besonders relevant: In Untersuchungen mit Studierenden zeigte sich ein enger negativer Zusammenhang zwischen Imposter-Gefühlen und Selbstmitgefühl. Je stärker das Hochstapler-Gefühl, desto geringer ausgeprägt war in der Regel das Selbstmitgefühl – und umgekehrt. Selbstmitgefühl scheint also eine Art Schutzfaktor zu sein: Wer gelernt hat, freundlich zu sich zu sein, ist weniger anfällig dafür, trotz Erfolg an sich zu zweifeln.
Konkrete Schritte zu mehr Selbstwahrnehmung und neuen inneren Haltungen
Hier folgen nun einige Praxisimpulse, die sich aus meiner Arbeit mit Führungskräften bewährt haben:
Bewusstmachen und benennen: Der erste Schritt ist immer die Achtsamkeit. Beobachten Sie Ihre eigenen Gedankenmuster in herausfordernden Situationen. Erkennen Sie, wann die „Hochstapler-Stimme“ spricht – zum Beispiel bei Lob (“Das habe ich nicht verdient”) oder vor einer neuen Aufgabe (“Andere überschätzen mich”). Notieren Sie solche Gedanken und benennen Sie das Phänomen aktiv als Imposter-Gedanke. Allein das Etikettieren (“Ah, da ist wieder der Hochstapler in mir”) schafft Distanz und verhindert, dass Sie sich voll mit dem Gedanken identifizieren.
Realitäts-Check durchführen: Stellen Sie Ihren selbstkritischen Gedanken bewusst Fakten gegenüber. Fragen Sie sich: “Wofür gibt es objektiv Belege?” und “Welche Erfolge oder Kompetenzen habe ich, die diesem negativen Gedanken widersprechen?” Führen Sie z. B. ein Erfolge-Tagebuch, in dem Sie kleine und große Errungenschaften festhalten – vom gelungenen Projektabschluss bis zum konstruktiven Mitarbeitergespräch. Dieses “Beweisdokument” hilft, verzerrte Selbstwahrnehmungen zu korrigieren. Studien haben gezeigt, dass Imposter-Überzeugungen oft nicht mit der Realität der Leistung übereinstimmen – machen Sie sich diese Diskrepanz immer wieder klar.
Glaubenssätze hinterfragen und neu formulieren: Nehmen Sie einen dominierenden negativen Glaubenssatz über sich (z. B. “Ich darf keine Fehler machen”). Schreiben Sie ihn auf und prüfen Sie seine Gültigkeit. Woher stammt diese Überzeugung? Ist sie heute noch hilfreich oder realistisch? Formulieren Sie dann einen alternativen, konstruktiven Glaubenssatz, der Sie künftig leiten soll (z. B. “Fehler sind Lernchancen – ich darf Fehler machen und daraus wachsen”). Schreiben Sie diesen neuen Leitsatz bewusst auf und platzieren Sie ihn sichtbar (etwa als Notiz am Bildschirm). So erinnern Sie sich im Alltag aktiv an die neue innere Haltung. Anfangs mag das ungewohnt sein, doch durch Wiederholung und praktische Erfahrungen – vor allem, wenn Sie trotz kleiner Fehler positive Resultate erzielen – gewinnt der neue Glaubenssatz Schritt für Schritt an Überzeugungskraft.
Self-Compassion-Rituale einüben: Integrieren Sie tägliche Selbstmitgefühl-Übungen in Ihren Ablauf. Zum Beispiel können Sie jeden Morgen 5 Minuten Metta-Meditation praktizieren oder einen kurzen Selbstmitgefühls-Check-in machen: Augen schließen, drei tiefe Atemzüge nehmen und sich selbst fragen, “Wie gehe ich gerade mit mir um? Was bräuchte ich in diesem Moment?”. Alternativ nutzen Sie den Self-Compassion Break (nach Kristin Neff) in stressigen Momenten: 1) Anhalten und anerkennen “Das ist gerade schwierig.” 2) Sich erinnern “Leiden und Unzulänglichkeit sind Teil der gemeinsamen Menschheit – ich bin nicht allein.” 3) Sich selbst freundliche Worte zusprechen “Möge ich gütig zu mir sein” oder “Es ist okay, Fehler zu machen”. Solche Mini-Rituale können Sie mental wieder aufrichten, wenn Selbstzweifel nagen. Sie stärken nachweislich Resilienz und reduzieren die Angst vor dem Versagen.
Embodiment nutzen: Ergänzend zu mentalen Übungen wenden Sie Körpertechniken an, um neue innere Haltungen zu verankern. Diese werden Sie in unseren Sitzungen kennen lernen. Es gibt etwa den sogenannten Butterfly Hug, der hilft, Nervosität und Stress im Moment abzubauen. Sie können ihn z. B. abends nutzen, um die Anspannung des Tages loszulassen – koppeln Sie das Klopfen mit einem selbstmitfühlenden Gedanken, wie: “Du hast heute dein Bestes gegeben”.
Austausch und Verbundenheit: Durchbrechen Sie die Isolation, die das Imposter-Syndrom oft mit sich bringt. Sprechen Sie mit Vertrauenspersonen – sei es ein Mentor, Coach oder eine geschätzte Kollegin – über Ihre Selbstzweifel. Viele werden ähnliches erlebt haben. Der offene Austausch normalisiert das Gefühl („Ich bin nicht der/die Einzige mit diesen Ängsten“) und nimmt ihm so viel Macht. Zudem können Außenstehende oft objektiver Ihre Stärken zurückspiegeln, wenn Sie selbst sie nicht sehen. Netzwerke und Peergroups für Führungskräfte bieten hier Chancen: etwa Round-Table-Gespräche, in denen auch persönliche Herausforderungen Platz haben. Das Wissen um die gemeinsame Menschlichkeit, ein Kern von Selbstmitgefühl, wird im Dialog konkret erlebbar.
Professionelle Unterstützung in Anspruch nehmen: Wenn die Imposter-Gefühle sehr hartnäckig sind und erheblichen Leidensdruck erzeugen, zögern Sie nicht, professionelle Hilfe zu suchen. Spezialisierte Coaches oder Therapeut:innen (etwa mit EMDR-Ausbildung) können Ihnen helfen, die beschriebenen tieferen Wurzeln gezielt anzugehen. Gerade EMDR oder bindungsorientierte Therapien können hier den Durchbruch bringen, wenn reine Selbsthilfe nicht ausreicht. Es ist kein Zeichen von Schwäche, Unterstützung anzunehmen – im Gegenteil, es zeugt von Reflexionsfähigkeit und dem Willen, an sich zu arbeiten. Das Ergebnis kommt nicht nur Ihnen persönlich zugute, sondern oft auch Ihrem Team und Unternehmen, denn innere Klarheit und Stärke einer Führungskraft strahlt positiv nach außen.
Zum Schluss sei betont: Veränderung braucht Zeit. Geduld und Selbstmitgefühl sind auch auf diesem Weg die besten Begleiter. Jeder kleine Schritt – sei es ein bewusst angenommenes Lob ohne sofortige Relativierung, oder das erste Mal “Ich bin stolz auf mich” denken zu können – ist ein Erfolg.
Das Imposter-Syndrom muss kein Dauerzustand bleiben. Mit dem Verständnis der Ursachen, geeigneten Methoden wie EMDR zur Auflösung alter Lasten und der Kraft der Selbstfreundlichkeit kann eine Transformation gelingen. So entwickeln Führungskräfte nach und nach eine gesündere Selbstwahrnehmung: realistisch, klar und zugleich wohlwollend.
Die innere Kritikerstimme verliert an Schärfe, stattdessen etabliert sich eine Haltung, die Erfolge anerkennen kann und Fehler als Teil des Wachstums sieht. Davon profitieren nicht nur die Führungskräfte selbst in Form von weniger Stress und mehr innerer Ruhe – auch ihre Mitarbeiter:innen erleben authentischere, empathischere Leader. Ein hohes Maß an Selbstreflexion und Selbstmitgefühl wird so zur echten Führungskompetenz. Denn wer gelernt hat, sich selbst kein Hochstapler mehr zu sein, führt mit größerer Souveränität und Menschlichkeit zugleich.
Lassen Sie uns zusammen arbeiten.
Gemeinsam gestalten wir den Prozess: dabei begleite ich Sie auf Ihrem Weg zu mehr innerer Stärke und klarer Führung, indem ich auf einen wissenschaftlich fundierten Werkzeugkoffer zurückgreife, der EMDR, DBT, logotherapeutische Interventionen, ACT und wirksame Skills aus verschiedenen psychologischen Ansätzen vereint.
Nach über 25 Jahren in Geschäftsleitungspositionen und führenden Funktionen im Corporate-Bereich habe ich Kapazitäten für ausgewählte Coaching-Mandate geschaffen, um Sie mit diesem umfassenden Methodenrepertoire zu unterstützen.
Quellen
Die in diesem Beitrag dargestellten Inhalte stützen sich auf aktuelle empirische Forschung sowie etablierte psychologische Konzepte. Die nachfolgend aufgeführten Quellen geben einen Überblick über die wissenschaftliche Fundierung der genannten Aussagen.
Imposter-Syndrom
Statistische Angaben zur Verbreitung des Imposter-Syndroms unter Führungskräften, insbesondere unter US-amerikanischen CEOs, basieren auf dem Korn Ferry Workforce Survey 2024.
Zentrale psychologische Zusammenhänge – etwa zwischen Imposter-Erleben, Selbstwert, Depression und Burnout – sind durch eine systematische Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2020 belegt (Journal of General Internal Medicine, doi:10.1007/s11606-020-06166-1).
Die Bedeutung früher Bindungserfahrungen und innerer Glaubenssätze für die Entstehung von Imposter-Gefühlen wird durch aktuelle empirische Studien zu Bindung, Selbstwert und Persönlichkeitsfaktoren gestützt.
EMDR und AF-EMDR
Die Wirksamkeit von EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing) zur Behandlung posttraumatischer Belastungssymptome ist durch eine Vielzahl randomisierter kontrollierter Studien belegt (vgl. APA Guidelines, WHO Recommendations).
Studien zeigen zudem, dass EMDR auch bei niedrigem Selbstwert signifikante Verbesserungen erzielen kann (z. B. Yarden et al., 2022, European Journal of Psychotraumatology).
Attachment-Focused EMDR (AF-EMDR) nach Dr. Laurel Parnell integriert bindungstheoretische Ansätze und wird zunehmend in der Behandlung komplexer Entwicklungstraumata angewendet (vgl. Parnell, L. Attachment-Focused EMDR, 2. Aufl., 2013).
Selbstmitgefühl (Self-Compassion)
Die Forschung zum Konzept des Selbstmitgefühls basiert auf den Arbeiten von Dr. Kristin Neff (University of Texas at Austin) und umfasst mittlerweile mehrere tausend Publikationen.
Meta-Analysen und Langzeitstudien belegen den positiven Einfluss von Selbstmitgefühl auf Resilienz, Emotionsregulation, Motivation sowie die psychische Gesundheit insgesamt (z. B. Neff & Germer, 2013, Mindful Self-Compassion Program).
Selbstmitgefühl zeigt sich zudem als schützender Faktor gegenüber Imposter-Erleben und ist in der praktischen Anwendung mit Meditation, Embodiment und achtsamkeitsbasierten Verfahren kombinierbar.