EMDR als wirksamer Ansatz zur Schmerzbehandlung
Wenn der Schmerz nicht mehr vergeht – und der Körper sich erinnert
Es beginnt oft harmlos: ein verspannter Nacken nach einem langen Tag am Schreibtisch. Rückenschmerzen nach dem Heben einer schweren Tasche. Ein Ziehen im Arm, das man zunächst ignoriert. Doch manchmal bleibt der Schmerz - oder wird sogar schlimmer, auch wenn die ursprüngliche Verletzung längst ausgeheilt ist. Aus einem akuten Ereignis wird ein chronischer Begleiter. Und dieser Schmerz verhält sich anders: Er wird unberechenbar, manchmal sogar ohne für uns erkennbaren Grund stärker.
Was viele nicht wissen: Chronischer Schmerz ist häufig nicht nur ein körperliches Symptom, sondern auch ein Phänomen des Gedächtnisses. Unser Nervensystem ist lernfähig – leider auch, wenn es um Schmerz geht. Fachleute sprechen dann vom „Schmerzgedächtnis“. Das bedeutet: Das Gehirn und Rückenmark erinnern sich an frühere Schmerzreize – und reagieren zunehmend sensibler, selbst bei minimalen Auslösern. Was anfangs ein klarer Warnimpuls war, wird zur überaktiven “Alarmanlage”. Die Schwelle sinkt, das System bleibt „auf Empfang“.
Und doch reicht die reine Neurobiologie nicht aus, um zu erklären, warum Schmerzen so hartnäckig sein können. Denn Schmerz ist niemals nur physisch. Emotionale Verletzungen, Verluste oder traumatische Erlebnisse können sich tief ins Körpersystem eingraben – manchmal so tief, dass sich die Psyche auf dem somatischen Weg bemerkbar macht.
Zahlreiche Studien zeigen: Es gibt eine enge Verbindung zwischen chronischem Schmerz und Trauma. Fast die fünfzig Prozent aller Menschen mit einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet auch an chronischen Schmerzen (Sharp & Harvey, 2001; Liedl et al., 2010; Moeller-Bertram et al., 2012). Und umgekehrt erfüllen viele Schmerzpatient:innen die Kriterien einer unbewältigten traumatischen Belastung – ohne dies zunächst zu wissen (Asmundson et al., 2002; Otis et al., 2010; Tesarz et al., 2016).
Hier setzt die moderne Schmerzpsychologie an. Sie erkennt Schmerz nicht nur als Warnsignal des Körpers, sondern auch als Ausdruck nicht verarbeiteter Erfahrungen. Gerade wenn körperliche Ursachen nicht mehr eindeutig greifbar sind, lohnt sich der Blick auf das, was „unterhalb“ der Schmerzgrenze liegt: Das Erlebte. Das Gedächtnis. Die Geschichten, die der Körper erzählt.
Im Folgenden werfen wir einen genaueren Blick auf das sogenannte Schmerzgedächtnis, die neurobiologischen Grundlagen – und darauf, wie traumatische Erfahrungen den Körper nachhaltig prägen können. Denn wer den Schmerz besser versteht, kann ihn vielleicht nicht immer sofort lindern – aber neu begegnen.
Traumatische Ereignisse (z. B. Unfälle, Gewalt, Verluste) hinterlassen nicht nur psychische Beeinträchtigungen, sondern können auch persistierende Schmerzzustände auslösen oder verstärken. In der Psychotraumatologie wurde daher ein Schmerz-Trauma-Modell entwickelt, das vereinfacht zwei zentrale Prozesse beschreibt:
Hypermnesie/Prägung: Das Trauma hinterlässt eine übermäßig starke Erinnerungsspur – nicht nur psychisch, sondern auch somatisch. Schmerzhafte Erfahrungen können überkonsolidiert werden, d. h., tief im impliziten Gedächtnis (dem Körpergedächtnis) verankert werden. Dies führt zu einem Zustand anhaltender Alarmbereitschaft: Der Körper „erinnert“ den Schmerz wiederholt, analog zu Flashbacks, jedoch in somatischer Form. Dieses Phänomen wird auch als chronisches Schmerzgedächtnis bezeichnet.
Hyperarousal/Sensitivierung: Gleichzeitig induziert das Trauma eine anhaltende Übererregung des zentralen Nervensystems. Stresshormone wie Cortisol und Noradrenalin erhöhen die Empfindlichkeit der Schmerzrezeptoren. Dies resultiert in einer erhöhten Aufmerksamkeit gegenüber Schmerz (Hypervigilanz) und einer intensivierten Schmerzwahrnehmung bereits bei geringfügigen Reizen. Dieses „persistierende Alarmsignal“ des Körpers perpetuiert den Schmerzkreislauf.
Das Zusammenspiel von Trauma und Schmerz kann dazu führen, dass Schmerz selbst zu einer Form der Traumafolgestörung wird. Betroffene berichten in solchen Fällen beispielsweise, dass spezifische Situationen oder Gedanken (die an das Trauma erinnern) akute Schmerzexazerbationen auslösen – sogenannte Schmerzintrusionen. Chronischer Schmerz ist zudem häufig mit erheblichem emotionalem Leiden, Angst und einem Gefühl der Hilflosigkeit assoziiert. Dieses Phänomen wird auch als der Teufelskreis des Schmerzes bezeichnet: Schmerz induziert Stress und negative Emotionen, die wiederum die Schmerzwahrnehmung weiter intensivieren.
Um diesen Kreislauf zu durchbrechen, sind Ansätze erforderlich, die sowohl die somatische als auch die psychische Dimension ansprechen. Hier setzt EMDR an.
Wirkweise von EMDR: Der Einfluss von Augenbewegungen auf Schmerz
EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing) wurde ursprünglich für die Behandlung von Traumata entwickelt, zeigt jedoch zunehmend vielversprechende Ergebnisse bei der Behandlung von chronischen Schmerzen. Die Frage, wie eine Methode, die Augenbewegungen einsetzt, Schmerzen lindern kann, findet ihre Antwort in der Funktionsweise unseres Gehirns und Gedächtnisses.
EMDR basiert auf dem Konzept der „adaptiven Informationsverarbeitung“. Trauma oder chronischer Schmerz wird als Erinnerung betrachtet, die dysfunktional gespeichert ist – häufig primär im impliziten Gedächtnis (dem Körper- und Emotionalgedächtnis). Traumatische Schmerzerfahrungen werden weniger sprachlich-zeitlich (explizit) gespeichert, sondern überwiegend körperlich und emotional (implizit). Dies bedeutet: Die betroffene Person ist sich möglicherweise nicht bewusst, warum eine bestimmte Situation Schmerzen auslöst. Der Körper reagiert jedoch unmittelbar, als wäre er entsprechend „programmiert“. EMDR setzt hier an, indem es implizite Erinnerungen zugänglich und bearbeitbar macht.
Die Technik beinhaltet die bilaterale Stimulation (meist in Form von Augenbewegungen, alternativ auch alternierende auditive oder taktile Stimulation) in Verbindung mit dualer Aufmerksamkeitsfokussierung. In der praktischen Anwendung bedeutet dies: Der Patient richtet seine Aufmerksamkeit gleichzeitig auf ein schmerzbezogenes Bild, einen Gedanken oder eine Körperempfindung und folgt externen Reizen (wie den geführten Augenbewegungen des Therapeuten). Diese simultane Fokussierung initiiert einen intensiven Verarbeitungsprozess im Gehirn. Dieser Prozess kann als ein Vorgang beschrieben werden, in dem das Gehirn gezwungen wird, die zuvor blockierte (traumatische) Erinnerung neu zu ordnen und in bestehende neuronale Netzwerke zu integrieren.
Neurowissenschaftliche Beobachtungen haben gezeigt, dass EMDR folgende Auswirkungen hat:
Veränderung der Verbindung zwischen Amygdala (Angstzentrum) und Hippocampus (Gedächtnis): Dies führt zu einer Reduktion der emotionalen Intensität einer Schmerz- oder Trauma-Erinnerung. Patienten berichten nach EMDR häufig: „Die Erinnerung fühlt sich distanziert an, nicht mehr so belastend.“ Dies könnte darauf hindeuten, dass das implizite „Alarm“-Gedächtnis in eine stärker explizite Form überführt wird.
Reduktion des Stresshormonspiegels (z. B. Cortisol) und Beruhigung des vegetativen Nervensystems: Dies korreliert mit dem subjektiven Erleben vieler Patienten, die während EMDR-Sitzungen eine somatische Entspannung wahrnehmen (z. B. vertiefte Atmung) – selbst während der Auseinandersetzung mit schmerzhaften Erinnerungen.
Aktivierung schmerzmodulierender Netzwerke: EMDR scheint ähnliche neuronale Mechanismen wie Hypnose oder mentales Training zu nutzen. Durch die konzentrierte Vorstellung des Schmerzes und seiner Veränderung (siehe nachfolgende Techniken) können schmerzhemmende Bahnen im Gehirn gestärkt werden. Funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT)-Studien deuten darauf hin, dass EMDR präfrontale Hirnareale (die für Kontrolle und Neubewertung zuständig sind) aktiviert, die beruhigend auf das Schmerzzentrum im Thalamus und limbischen System einwirken.
Es ist von Bedeutung, dass EMDR nicht nur die psychische Dimension isoliert behandelt, sondern die komplexe Interaktion zwischen Psyche und Schmerz adressiert. Chronischer Schmerz wird hier als ein „Netzwerkproblem“ im Gehirn betrachtet – als eine fehlverarbeitete Erinnerung, die persistierende somatische Schmerzsignale auslöst. EMDR unterstützt die Restrukturierung dieses Netzwerks: Die schmerzhaften Erinnerungen (bzw. das Schmerzgedächtnis) werden desensibilisiert und neu verknüpft, was zu einer Reduktion der Schmerzintensität führt. Oder, wie es in einem Übersichtsartikel formuliert wird: EMDR erleichtert die Integration maladaptiv gespeicherter Erinnerungen in die adaptiven neuronalen Netzwerke des Gehirns. Dies lindert nicht nur psychischen Stress, sondern verbessert auch die somatischen Schmerzreaktionen.
Zusätzlich fördert EMDR die Entwicklung positiver Kognitionen und den Aufbau von Ressourcen. Patienten entwickeln im Verlauf der Behandlung neue, hilfreiche Gedankenmuster („Mein Körper ist zur Heilung fähig“, „Ich bin der Hilflosigkeit nicht ausgeliefert“) und positive Körperempfindungen. Diese werden gezielt verstärkt und verankert (Installationsphase). Auf diese Weise entsteht Resilienz: Zukünftige Schmerzreize lösen nicht mehr automatisch Angst und Hilflosigkeit aus, sondern werden mit Gelassenheit und aktiven Bewältigungsstrategien beantwortet.
EMDR-Techniken bei Schmerzen: Lichtstrahlübung, Antidot-Imagination & Schmerzprovokation
Die Behandlung chronischer Schmerzen mit EMDR folgt einem Protokoll, das an das klassische Trauma-EMDR-Therapieprotokoll angelehnt ist. Es umfasst ebenfalls die 8 Phasen (Anamnese, Vorbereitung, Bewertung, Desensibilisierung, Installation, Körpertest, Abschluss, Nachbefragung), wird jedoch um schmerzspezifische Techniken ergänzt. Im Folgenden werden drei bewährte EMDR-Techniken zur Schmerzbehandlung vorgestellt:
1. Lichtstrahlübung
Was ist das? Eine Imaginationsübung, die darauf abzielt, die Schmerzwahrnehmung durch den Einsatz von Vorstellungskraft aktiv zu modulieren. Der Patient visualisiert einen heilenden Lichtstrahl, der den Körper durchflutet und insbesondere die Schmerzareale erreicht. Die Lichtstrahlübung wurde von EMDR-Therapeuten speziell für Schmerzpatienten entwickelt und integriert Elemente aus Entspannungstechniken und Selbsthypnose.
Wie funktioniert sie? Die Lichtstrahlübung wird typischerweise in mehreren Schritten durchgeführt (häufig 5–8 Schritte, abhängig vom jeweiligen Manual). Ein mögliches Vorgehen ist folgendes:
Schritt 1: Ressourcenaktivierung – Der Patient erinnert sich an einen Moment des Wohlbefindens oder der Ruhe. Diese positive Körperempfindung dient als „Ausgangszustand“.
Schritt 2: Lichtstrahlvisualisierung – Der Therapeut leitet den Patienten an, ein inneres Bild zu erzeugen: „Stellen Sie sich einen hellen, wohltuenden Lichtstrahl vor, der von oben in Ihren Körper eintritt.“ Dieses Licht symbolisiert Heilung, Entspannung und Schmerzfreiheit.
Schritt 3: Körper-Scan mit Licht – Der Patient lenkt nun in seiner Vorstellung den Lichtstrahl durch den Körper. Er „scannt“ von Kopf bis Fuß und nimmt dabei wahr, wo das Licht ungehindert fließen kann und wo es auf mögliche Blockaden (Schmerzpunkte) trifft.
Schritt 4: Gezielte Schmerzfokussierung – An Schmerzpunkten angekommen, richtet der Patient den Lichtstrahl fokussiert auf diese Areale. Das Licht durchdringt die schmerzende Stelle, löst dort Verspannungen und transformiert die Wahrnehmung von Dunkelheit/Schmerz. (Einige Patienten beschreiben, dass das Licht den Schmerz auflöst oder „heraussaugt“.)
Schritt 5: Ausbreitung positiver Empfindungen – Anschließend wird visualisiert, wie sich Wärme, Entspannung und Wohlgefühl von dieser Stelle ausbreiten. Der gesamte Körper wird von dem Licht erfüllt. Viele Patienten erleben dabei ein Kribbeln oder ein Gefühl, in warmes Licht getaucht zu sein.
Schritt 6: Abschlussvisualisierung – Abschließend lässt der Patient das innere Bild nachwirken: Der Körper leuchtet von innen, die Schmerzen sind deutlich reduziert oder nicht mehr vorhanden, ein Gefühl der Geborgenheit stellt sich ein. Dieses Bild wird verankert (z. B. durch einen inneren „Speicherort“ oder ein Schlüsselwort).
Während der Lichtstrahlübung wird bilaterale Stimulation eingesetzt, in der Regel in den entscheidenden Phasen (z. B. Schritt 4 und 5). Durch die begleitenden Augenbewegungen oder alternierenden Taps wird die Wirkung im Gehirn verstärkt. Patienten berichten häufig von spürbaren somatischen Effekten dieser Übung: Muskelentspannung, Veränderung der Herzfrequenz, Schmerzlinderung. Tatsächlich gibt es Hinweise aus der Fachliteratur, dass geführte Imagination neuronale Modulationen bewirkt – z. B. über das vegetative Nervensystem oder Immunfunktionen (Trakhtenberg 2008, erwähnt im EMDR-Schmerzmanual). Die Lichtstrahlübung ist relativ leicht zu erlernen und kann vom Patienten auch als Selbsthilfetechnik zu Hause angewendet werden, um akute Schmerzen zu lindern.
2. Antidot-Imagery (Antidot-Imagination)
Was ist das? „Antidot“ bedeutet Gegengift. Diese Technik, die ursprünglich von Mark Grant (2009) beschrieben wurde, ist eine spezielle Form der Schmerzimagination im Rahmen der EMDR-Therapie. Sie kombiniert die bildliche Vorstellung eines Schmerzszenarios mit einem symbolischen Gegenmittel und nutzt ebenfalls EMDR-Stimulation, um eine neue Verknüpfung herzustellen. Es handelt sich quasi um eine kleine „Geschichte“: Der Schmerz wird als etwas Konkretes imaginiert, dem gezielt etwas entgegengesetzt wird.
Wie funktioniert sie? Auch hier ein typischer Ablauf in Schritten:
Schritt 1: Schmerzsymbol finden – Der Patient wird angeleitet, seinen Schmerz in ein Bild oder Objekt zu übersetzen. Beispiel: Ein stechender Kopfschmerz könnte als roter, pulsierender Ball visualisiert werden; Rückenschmerz als schwarzer, schwerer Rucksack; Nervenschmerz als elektrischer Draht. Diese Visualisierung schafft Distanz – der Schmerz wird ein Stück weit externalisiert.
Schritt 2: Antidot auswählen – Nun wird ein passendes „Gegengift“ oder Gegenbild gewählt, das den Schmerz neutralisieren könnte. Zum glühenden Ball passt vielleicht ein kühlendes Wasser oder ein heilendes Gel; zum schweren Rucksack ein starkes Magnetfeld, das ihn anzieht und vom Rücken wegzieht; zum elektrischen Draht ein Erdungskabel, das den Strom ableitet. Entscheidend ist, dass das Antidot intuitiv als hilfreich empfunden wird und möglichst gegensätzlich zum Schmerzsymbol ist (Kälte vs. Hitze, Leichtigkeit vs. Schwere etc.).
Schritt 3: Interaktionsszene – Der Patient stellt sich vor, wie das Antidot-Objekt auf den Schmerz einwirkt. Z. B.: Die kühlende Welle umspült den roten Ball im Kopf, und der Ball beginnt auszubleichen oder zu schrumpfen. Oder: Ein Lichtstrahl trifft den dunklen Schmerzschatten und hellt ihn auf. Hier wird oft kreativ gearbeitet – der Patient entwickelt seine eigene „Geschichte“, wie das Gegengift den Schmerz bekämpft.
Schritt 4: Bilaterale Stimulation & Verankerung – Während der Patient diese heilsame Interaktion intensiv vor seinem geistigen Auge ablaufen lässt, beginnt der Therapeut mit der EMDR-Stimulation (Augenbewegungen oder Taps). Das Ziel ist, das Gehirn dabei zu unterstützen, diese neue Kopplung Schmerz – Antidot – Linderung tief zu verankern. Nach einigen Sets wird gefragt: „Was passiert jetzt mit dem Schmerzbild?“ Häufig berichten Patienten, dass sich das Schmerzsymbol deutlich verändert hat (kleiner geworden, blasser, weiter weg) oder sogar vollständig verschwunden ist.
Schritt 5: Positive Kognition – Abschließend kann das Erlebte in einem positiven Satz oder Gefühl zusammengefasst werden. Zum Beispiel: „Ich habe etwas, das meinen Schmerz lindert“ oder einfach das Gefühl von Kontrolle und Erleichterung bewusst wahrnehmen. Dies wird wiederum mit einem letzten EMDR-Durchgang installiert, damit der Patient es als innere Ressource behält.
Die Antidot-Imagination hat den Vorteil, dass sie spielerisch und symbolisch arbeitet – was insbesondere bei Kindern oder auch bei Erwachsenen, denen eine direkte Konfrontation mit Schmerzen schwerfällt, einen guten Zugang ermöglicht. Sie nutzt das Prinzip der gegensätzlichen Visualisierung, das an hypnotische Techniken erinnert (z. B. die Vorstellung eines Eiswürfels auf der schmerzenden Stelle bei Verbrennungen). EMDR gibt dem Ganzen jedoch den Rahmen, dass es tief im Gedächtnis verankert und verarbeitet wird. In der Praxis wird die Antidot-Technik häufig in der Vorbereitungs- und Stabilisierungsphase eingesetzt (Phase 2), um Patienten zunächst ein Gefühl der Kontrolle zu vermitteln, bevor traumatische Erinnerungen bearbeitet werden. Sie hat sich bei chronischen Kopfschmerzen, Fibromyalgie-Schmerzen und neuropathischen Schmerzen als sehr hilfreich erwiesen (vgl. Mark Grants Arbeiten).
Schmerzprovokation und -reduktion
Die gezielte Provokation von Schmerz, um ihn anschließend zu reduzieren, mag zunächst paradox erscheinen. Dieser Ansatz basiert jedoch auf dem therapeutischen Prinzip der kontrollierten Konfrontation. Viele Schmerzpatienten entwickeln eine Vermeidungsstrategie gegenüber Bewegungen oder bestimmten Auslösern, da diese Schmerzen verstärken könnten. Im EMDR-Schmerzprotokoll werden Techniken eingesetzt, bei denen der Schmerz in einem sicheren Rahmen kurzzeitig intensiviert wird, um anschließend mit EMDR die Schmerzregulation zu trainieren.
Ein Beispiel ist die „Schmerzprovokation-Reduktions-Übung“, die in EMDR-Selbstkontrolltechniken beschrieben wird. Das Vorgehen ist wie folgt: Der Patient schätzt zunächst seine aktuelle Schmerzintensität auf einer Skala ein (z. B. 3 von 10). Anschließend wird (mit dem Einverständnis des Patienten) ein Auslöser hinzugefügt, der den Schmerz typischerweise verstärkt – z. B. eine leichte körperliche Bewegung, Dehnung oder die gedankliche Fokussierung auf die Schmerzstelle (Provokation). Die Veränderung der Schmerzintensität wird beobachtet (z. B. Anstieg auf 6 von 10). In diesem Moment setzt der Therapeut die EMDR-Stimulation ein, während der Patient seine Aufmerksamkeit auf die Schmerzempfindung richtet. Durch die duale Aufmerksamkeit (Schmerzempfindung und Augenbewegungen) erfährt das Gehirn erneut eine Desensibilisierung: Häufig nimmt die Schmerzintensität bereits nach wenigen Sets deutlich ab (z. B. Rückgang auf 3 oder sogar 2 von 10). Die Erfahrung, den Schmerz aktiv reduzieren zu können, ist für viele Betroffene äußerst empowernd. Sie steht im Widerspruch zu der internalisierten Überzeugung „Ich bin dem Schmerz ausgeliefert“ und fördert stattdessen die Überzeugung „Ich habe Einfluss auf meinen Schmerz“.
Varianten dieser Technik:
Interozeptive Konfrontation: Ähnlich wie in der Paniktherapie, wo körperliche Symptome provoziert werden (z. B. durch schnelles Atmen, Drehstuhl), um anschließend Angstzustände zu reduzieren, können bei Schmerzbehandlungen kurzzeitig Reize wie Kälte/Wärme angewendet oder eine angstauslösende Situation im Vorstellungsbild durchgespielt werden, die Schmerz triggert. Anschließend erfolgt die Verarbeitung mit EMDR.
Bewegungs-EMDR: Bei bestimmten Schmerzen (z. B. Tennisarm oder Rückenschmerz) wird der Patient angeleitet, eine schmerzende Bewegung sehr langsam auszuführen. Sobald Schmerz auftritt, wird die Position „eingefroren“, und es wird EMDR durchgeführt, während der Patient die Spannung wahrnimmt. Die Bewegung wird anschließend fortgesetzt. Viele Patienten berichten, dass sie nach wenigen Durchgängen eine größere Bewegungsamplitude erreichen oder weniger Schmerzen bei der Bewegung verspüren.
Diese Provokationsmethode erfordert selbstverständlich Vorsicht – sie ist kontraindiziert, wenn die Gefahr einer Gewebeschädigung besteht oder bei frischen Verletzungen. Bei chronischen, funktionellen Schmerzen stellt sie jedoch ein wirkungsvolles Instrument zur Steigerung der Selbstwirksamkeit dar.
Was sagt die Wissenschaft? – Studienlage zu EMDR bei Schmerz
In den letzten Jahren hat die Forschung zu EMDR im Bereich der Schmerzmedizin zugenommen. Zahlreiche Studien und Übersichtsarbeiten bestätigen mittlerweile die Wirksamkeit von EMDR bei verschiedenen Schmerzsyndromen:
Chronischer Rückenschmerz: Eine randomisierte kontrollierte Studie von Gerhardt et al. (2016) zeigte, dass EMDR bei Patienten mit chronischen Kreuzschmerzen sowohl die Schmerzintensität als auch die psychische Belastung signifikant reduzierte. Diese positiven Effekte waren auch nach einer Nachbeobachtungszeit von 6 Monaten stabil.
Kopfschmerzen und Migräne: Konuk et al. (2011) behandelten Patienten mit Migräne mittels EMDR und beobachteten eine deutliche Reduktion der Kopfschmerzhäufigkeit. Fallberichte beschreiben sogar „spektakuläre Erfolge“ bei therapieresistenten Kopfschmerzpatienten.
Phantomschmerzen: Bei Amputationspatienten mit Phantomschmerz konnte EMDR in mehreren Studien eine drastische Linderung des Schmerzes bewirken. Rostaminejad et al. (2017) berichteten beispielsweise, dass EMDR über 4 Sitzungen Phantomschmerzen um durchschnittlich 50 % reduzierte, während in der Kontrollgruppe nur minimale Veränderungen auftraten.
Fibromyalgie: Diese generalisierte Schmerzstörung zeigt häufig nur eine begrenzte Reaktion auf konventionelle Therapien. Eine Studie von Friedberg (2004) ergab jedoch, dass EMDR nicht nur Schmerzen, sondern auch Begleitsymptome wie Müdigkeit und Schlafstörungen verbessern kann. Neuere Forschungsarbeiten (z. B. Karatzias et al. 2020) liefern Hinweise darauf, dass die Aufarbeitung von Traumata bei einem Teil der Fibromyalgie-Patienten eine essenzielle Rolle spielt – insbesondere bei einer Vorgeschichte von Missbrauchserfahrungen (was häufig der Fall ist).
Rheumatoide Arthritis: Obwohl es sich um eine entzündliche Erkrankung handelt, spielen auch bei rheumatoider Arthritis (RA) die Schmerzwahrnehmung und -bewältigung eine wichtige Rolle. Tesarz et al. (2019) untersuchten die Anwendung von EMDR bei RA-Patienten und stellten signifikante Auswirkungen auf die Schmerzverarbeitung im Gehirn sowie auf die subjektive Schmerzintensität fest. Dies deutet darauf hin, dass EMDR auch bei somatischen Erkrankungen als psychotherapeutische Ergänzung sinnvoll sein kann.
Darüber hinaus existieren Metaanalysen und Reviews, die die Gesamtheit der Forschungsergebnisse zusammenfassen. Ein systematisches Review von Matthijssen et al. (2020) analysierte die verfügbaren Studien zu EMDR bei Schmerz und kam zu dem Schluss, dass EMDR konsistent zu einer Schmerzreduktion, einer Verbesserung der Lebensqualität und einer Reduktion komorbider Angstzustände/Depressionen führt. Insbesondere bei chronischen muskuloskelettalen Schmerzen und psychosomatischen Schmerzstörungen ist die Evidenzlage als gut einzustufen. Die Autoren betonen, dass EMDR hier einen innovativen Ansatz darstellt, der gleichzeitig somatische und psychische Komponenten adressiert – ein Aspekt, der in vielen konventionellen Therapien vernachlässigt wird.
Erwähnenswert ist, dass die meisten Studien EMDR in Einzeltherapie-Settings untersucht haben. Es gibt jedoch inzwischen auch Pilotstudien zur Anwendung von EMDR im Gruppensetting für Schmerzpatienten. Ein Forschungsteam um Tesarz in Heidelberg entwickelte ein EMDR-Gruppenprogramm für chronische Schmerzpatienten. Erste Ergebnisse zeigten eine hohe Wirksamkeit und Akzeptanz dieses Ansatzes. Dies ist vielversprechend, da Gruppentherapie bei chronischem Schmerz im Allgemeinen kosteneffektiv und unterstützend ist – und EMDR offenbar auch in diesem Rahmen erfolgreich durchgeführt werden kann. Patienten profitieren dabei zusätzlich vom Erfahrungsaustausch. Die Autoren postulieren, dass Schmerz auch als „kollektives Trauma“ verstanden werden kann, das in der Gruppe gemeinsam bearbeitet wird.
EMDR als Chance für die Schmerzbehandlung
EMDR hat sich von einer reinen Traumatherapie zu einer vielversprechenden Komponente der multimodalen Schmerztherapie entwickelt. Insbesondere Führungskräfte und beruflich stark eingebundene Menschen mit chronischen Schmerzen suchen nach Lösungen, die zeitsparend, nachhaltig und nebenwirkungsarm sind. EMDR erfüllt viele dieser Kriterien:
Es adressiert sowohl die psychische Komponente von Schmerz (z. B. Stress, Trauma, Angst) als auch die somatische Schmerzwahrnehmung.
Es ist zeiteffektiv: Häufig zeigen sich bereits nach wenigen Sitzungen deutliche Effekte – was für Menschen mit beruflichen Verpflichtungen, die keine langjährige Therapie in Anspruch nehmen können oder wollen, attraktiv ist.
Es ist evidenzbasiert: Zahlreiche Studien und Fallberichte belegen die Wirksamkeit bei verschiedenen Schmerzsyndromen. Dies ermöglicht eine fundierte Empfehlung, auch gegenüber kritisch denkenden Personen, die eine wissenschaftliche Evidenz fordern.
Es eröffnet neue Wege der Selbstwahrnehmung: Patienten entwickeln ein tieferes Verständnis ihres Schmerzes (als „Erinnerung“ des Körpers) und entdecken bisher ungenutzte Ressourcen (z. B. die Fähigkeit zur schmerzlindernden Imagination).
Es ist mit anderen Verfahren kombinierbar. EMDR lässt sich gut in multimodale Behandlungskonzepte integrieren – z. B. als Ergänzung zur Physiotherapie, Schmerzmedizin oder Entspannungsverfahren. Es handelt sich also nicht um einen „entweder-oder“-Ansatz, sondern um eine „sowohl-als-auch“-Strategie.
Empfehlungen
Für interessierte Laien und Führungskräfte, die eine EMDR-Behandlung in Erwägung ziehen, ist folgender Hinweis wichtig: Suchen Sie nach Therapeuten mit einer Zusatzausbildung im Bereich „EMDR bei chronischem Schmerz“. Erkundigen Sie sich nach der spezifischen Erfahrung des Begleiters oder Therapeuten in diesem Gebiet – da die Anwendung der vorgenannten Techniken Fachwissen und vor allem Erfahrung erfordert. Qualifizierte EMDR-Coaches oder EMDR-Therapeuten führen zunächst eine umfassende Diagnostik durch, um festzustellen, ob traumatische Erfahrungen eine Rolle spielen, und entwickeln in Zusammenarbeit mit dem Patienten einen individuellen Behandlungsplan. Die aktive Mitarbeit des Patienten ist dabei essenziell, da EMDR ein partizipativer Prozess ist: Der Patient wird angeleitet, Visualisierungen durchzuführen, Rückmeldungen über körperliche und psychische Reaktionen zu geben und den Behandlungsverlauf zwischen den Sitzungen zu beobachten.
Die potenzielle Belohnung für dieses Engagement ist eine signifikante Reduktion von Schmerzen und eine Steigerung der Lebensqualität. Abschließend sei das Wort zitiert:
„Schmerz ist unvermeidlich, Leiden ist optional.“ – H. Murakami
EMDR unterstützt dabei, unnötiges Leiden zu minimieren, indem es Schmerz aus der Vergangenheit transformiert und eine Perspektive für die Zukunft eröffnet.
Lassen Sie uns zusammen arbeiten.
Ob Sorgen, Ängste oder auch chronisches Schmerzempfinden – ich habe über Jahre hinweg einen wirksamen und strukturierten Koffer an EMDR-Techniken, Selbstregulationstechniken und weiteren bewährten Ansätzen aufgebaut, um Sie verlässlich und wirksam zu begleiten.