Wie Logotherapie nach Viktor Frankl in Coaching, EMDR und Beratung wirksam wird

Werte verwirklichen – Sinn entdecken

Nach vielen Ausbildungen - sei es in EMDR, Narrativer Expositionstherapie, IFS oder Systemischer Beratung - gehört die Logotherapie zu den besonderen Themen, die mich immer wieder berühren. So bleibe ich auch weiterhin Student am Elisabeth-Lukas-Archiv, dem Institut für Logotherapie und Existenzanalyse nach Viktor E. Frankl, das von seiner engsten Weggefährtin und Meisterschülerin Elisabeth Lukas weitergeführt wird.

Es ist ein stilles, aber tiefes Lernen. Ein Lernen, das nicht nur auf Wissen zielt, sondern auf die Entwicklung einer Haltung – denn die Logotherapie ist nicht nur Psychotherapie, sondern zugleich auch Anthropologie und Philosophie.

Diese drei Zugänge wirken gemeinsam und beantworten zentrale Fragen des Menschseins:

Dreigliederung der Logotherapie
Logotherapie als … Orientiert sich an … Antwortet auf die Frage nach …
Anthropologie dem Menschenbild der Freiheit des Willens
Psychotherapie dem Heilen und Begleiten dem Willen zum Sinn
Philosophie dem Welt- und Lebensbild dem Sinn des Lebens

Diese Dreigliederung begleitet mein Denken und meine Praxis:

  • Anthropologie fragt: Was ist der Mensch?

  • Psychotherapie fragt: Was heilt ihn – und was stärkt ihn?

  • Philosophie fragt: Worin liegt der Sinn – auch im Leid, im Wandel, im Unverfügbaren?

Diese schaffen Tiefe und lassen sich wunderbar in die Arbeit mit Klienten, Teams und Organisationen integrieren. Gerade in der heutigen Zeit suchen (und Frankl würde sagen “kranken” viele Menschen) viele Menschen nach Sinn und Sinnzusammenhängen. Denn so hat es Viktor E. Frankl gesagt:

Der Mensch sucht nicht nach einem Zustand des Glücks – er sucht einen Grund zum Glücklichsein.
— Viktor E. Frankl

Umbrüche, Sinnverlust – und warum Werte heute wichtiger sind denn je

In der heutigen Zeit brechen viele klassische Formen von Sinnvermittlung weg – etwa Kirchen, Traditionen oder gesellschaftliche Rituale. Gleichzeitig bleibt die Sehnsucht nach Sinn bestehen – gerade in Umbruchzeiten. Werte und Sinnbezüge zeigen sich als essenzielle Resilienzquellen in Zeiten von Veränderungen und Polikrisen.

Das McKinsey Health Institute hat in einer weltweiten Umfrage unter 41.000 Menschen gezeigt:

  • Spiritual Health – definiert als die Verbindung zu etwas Größerem, das Erleben von Sinn und Bedeutung – ist ein zentraler Faktor für ganzheitliche Gesundheit.

  • Menschen mit starker spiritueller Gesundheit haben bis zu 3,8-mal häufiger auch eine stabile psychische Gesundheit als jene mit schwacher Sinn-Verankerung.

Damit ist jede Form eines sinnerfüllten Lebens gemeint: das Erleben von Sinn in der Arbeit, in Beziehungen, im sozialen Engagement, in der Verbundenheit mit der Natur oder in der inneren Haltung.

Gerade die Generation Z berichtet laut McKinsey deutlich häufiger von Sinnlosigkeit - mit gravierenden Folgen für das emotionale und soziale Wohlbefinden. Das betrifft auch Führungskräfte und Unternehmen:

  • Wo erleben wir und unsere Mitarbeitenden heute noch Sinn?

  • Wie können wir Sinn ermöglichen?

  • Wie ist mein eigenes Sinnempfinden?

  • Welche Werte leiten mich in die Zukunft?

Wer war Viktor Frankl – und was bedeutet Logotherapie?

Viktor Frankl war Neurologe, Psychiater, Überlebender mehrerer Konzentrationslager – und der Begründer der Logotherapie.

Im Unterschied zur Psychoanalyse, die in die Vergangenheit blickt, und zur Verhaltenstherapie, die primär auf Denken und Verhalten fokussiert, stellt die Logotherapie eine andere, existentielle Frage:

Wofür lohnt es sich, weiterzugehen?

In meiner Arbeit erlebe ich immer wieder, wie kraftvoll es ist, Klient:innen nicht nur beim „Warum?“ ihrer Belastung zu begleiten – sondern beim „Wozu?“ ihres Weges.

Frankl war überzeugt: Der Mensch ist nicht bloß Reiz-Reaktions-Wesen, sondern zur Entscheidung fähig – und zur Verantwortung.

Selbst in äußerster Not – wie er sie in den Konzentrationslagern erlebte – bleibt uns, so Frankl, eine letzte Freiheit:

Die Freiheit, unsere innere Haltung zu wählen.

Und genau darin liegt unsere Aufgabe: Dem Leben zu antworten – mit Freiheit, mit Verantwortung, mit Sinn.

Die drei Wertekategorien – und warum ich so gerne mit ihnen arbeite

Viktor E. Frankl entwickelte drei Wertekategorien, wie Sinn im Leben erfahrbar wird:

  1. Schöpferische Werte – durch das, was wir gestalten, bewirken, erschaffen – ein sehr wertvoller Wert, in dem wir viel Selbstwirksamkeit spüren.

  2. Erlebniswerte – durch das, was wir erleben, empfangen, lieben – das können auch die kleinen Dinge im Leben sein (Ikigai).

  3. Einstellungswerte – durch unsere Haltung zu dem, was wir nicht ändern können – dies sind entscheidende Werte für alle Umstände, die wir nicht beeinflussen können.

Ich arbeite seit vielen Jahren mit diesen drei Kategorien – sowohl im Coaching mit Einzelpersonen als auch in Kulturprozessen mit Teams und Organisationen.
Sie sind allgemein verständlich, unmittelbar erfahrbar - und im Alltag umsetzbar und erlebbar.

Ich erlebe immer wieder: Wenn Menschen Zugang zu ihren Werten finden, verändert sich etwas Grundlegendes.
Sie finden Klarheit, Kraft, Richtung. Sie erkennen, wo sie hingehören – und wo nicht.

Werte geben Richtung – auch durch Abgrenzung

Nicht nur ermöglichen Werte ein sinnerfülltes Leben. Sie geben auch Orientierung in schwierigen Situationen:

  • Ist das die richtige Aufgabe für mich?

  • Passt diese Organisation wirklich zu dem, was mir wichtig ist?

  • Kann ich mich hier treu bleiben – oder müsste ich mich dauerhaft verbiegen?

Werte helfen nicht nur, Ja zu sagen – sondern auch, Nein zu erkennen.
Ich halte das für eine der wichtigsten Ressourcen in unserer heutigen Zeit: Nicht aus Reaktion zu leben, sondern aus innerer Übereinstimmung.

Gerade in Organisationen, die ihr Profil schärfen wollen – sei es ein international tätiges Unternehmen oder ein diakonisches Haus – bilden diese Werte eine tragfähige Basis. Sie schaffen nicht nur Leitbilder – sie schaffen Verbindung, Integrität und Sinn.

Meine eigene Biografie

Mein japanischer Vorname Motoki bedeutet „Wurzel“ oder „Stamm“ eines Baumes. Als Kind habe ich das nie ganz verstanden. Meine Mutter sagte oft: „Du bist wie die Basis, von der etwas wachsen kann.“

Heute – viele Jahre später – begreife ich: Genau das ist meine Arbeit.
Ich begleite Menschen zu dem, was sie in der Tiefe trägt – zu ihren Wurzeln, zu ihren Werten, zu dem, was Sinn stiftet und Orientierung gibt. Gerade dann, wenn alles andere ins Wanken gerät.

Im Deutschen kennen wir das Wort radikal – es kommt vom lateinischen radix, die Wurzel.
Wurzelarbeit ist keine Rückwärtsgewandtheit. Sie ist eine Bewegung in die Tiefe – damit Wachstum in die Zukunft möglich wird.

Diese Arbeit setze ich in vielen Kontexten um:

  • in Einzel- und Teamcoachings

  • in EMDR-Sitzungen

  • in Transformationsprozessen mit Organisationen

  • in Leitbild- und Kulturentwicklungsprozessen – etwa in diakonischen Häusern

  • und nicht zuletzt: in der stillen Arbeit an meinem eigenen inneren Fundament.

Werte, EMDR und emotionale Selbstführung

In der Kombination mit EMDR und körperorientierter Prozessarbeit zeigt sich die Kraft der Logotherapie besonders deutlich. Denn wenn Werte bewusst sind, können wir emotionale Spannungen besser einordnen:

  • Warum macht mich diese Situation so wütend?

  • Warum spüre ich Druck oder Angst?

  • Warum fühle ich mich erschöpft, obwohl „eigentlich“ alles gut läuft?

Oft sind es Verletzungen zentraler Werte, die körperliche und emotionale Reaktionen auslösen. Und umgekehrt: Wenn wir erleben, dass wir unsere Werte leben dürfen – in Beziehungen, in Aufgaben, in Systemen – dann fühlen wir uns verbunden, kraftvoll, resilient.

Sinn ist keine Theorie. Er ist gelebte Wirklichkeit.

Viktor Frankl sagte:

„Es ist nicht das Leben, das uns Antworten gibt. Es ist der Mensch, der antwortet – verantwortet.“

Diese Haltung ist für mich grundlegend: Ich begleite Menschen dabei, genau diese Antworten zu finden und Entscheidungen zu treffen, denn genau das ist die Verantwortung, die wir für unser Leben übernehmen müssen. Diese Entscheidungen sind zum einen gesund für uns und zum anderen nachhaltig, wenn sie im Einklang mit unseren Werten stehen. Dieses “Alignment” und auch das Erspüren und Entdecken der eigenen Werte kann durch EMDR-Coaching als aufdeckende Methode und durch Logotherapie erreicht werden.

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Attachment-Focused EMDR als Ressource für resiliente Selbstführung

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EMDR und unser Körpergedächtnis: Der Körper vergisst nicht